Ausschnitt aus:

Religiöses Leben der Kölner Juden im Ghetto von Riga

Aus: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins e.V., Nr. 53 (1982)

Joseph Strauss organisiert religöses Leben im ABA-Lager Libau und versteckt kleines Gebetbuch

 

"... Von Riga fuhren wir dann mit den Schiffen, die wir beladen hatten, nach Libau. Zuerst glaubten wir, nach dem, was wir dort sahen, dass der Krieg zu Ende gehe. Aber wir wurden enttäuscht. Ein paar Tage später befanden wir uns wieder in einem neuen Lager, und das schwere Leben begann wieder. Nachdem wir das neue Quartier bezogen hatten, gab es schon wieder Männer, die sich um ein neues Minjan bemühten.

Hierbei muss ich zuerst unseren Kameraden Josef Strauß von der ehemaligen Gruppe Kassel nennen, der die Menschen um sich sammelte. Weiter war da ein frommer, älterer lettischer Jude, Flaks, der sehr am Gebet interessiert war.

 

Als Vorbeter amtierte jeder, der sich berufen fühlte, denn inzwischen hatten wir unsere alten Kräfte bereits verloren.

 

Der neue Kommandant, dem wir in Libau unterstellt waren, hatte gegen unsere jüdischen Gottesdienste keine Bedenken. Aus der Thora, die wir auch wieder nach Libau mitnahmen, las uns ein guter Freund, Georg Fries, vor, der früher jüdischer Lehrer war und aus Süddeutschland stammte.

 

Das Leben in Libau dauerte nur kurze Zeit; aber in dieser Zeit mussten wir 14 Opfer beklagen, die infolge eines Luftangriffes ihr Leben lassen mussten. Als wir Libau räumten, nahmen wir unsere zwei Thorarollen mit. Eine hatte Josef Strauß in seinem Handgepäck, und die andere war in unserer Lebensmittelbagage versteckt.

 

Mit dem Truppenteil, bei dem wir viele Monate gearbeitet hatten, sollten wir nach Deutschland ziehen, wo selbst wieder ein neues Lager aufgemacht werden sollte. Aber auf dem Schiff ereilte uns die Nachricht, dass wir in Hamburg anlegen müssten. Wir wussten nicht, was dies zu bedeuten hatte. In Hamburg angekommen, wurden wir am Hafen von der SS und Polizei in Empfang genommen, die nicht schön mit uns verfuhren.

 

Man brachte uns ins Gefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel, wo wir in zwei Sälen untergebracht wurden. Bevor wir aber in die Zellen kamen, wurden wir einer strengen Leibesvisitation unterzogen. Vollständig nackt standen wir da, und alles, was wir besaßen, wurde uns abgenommen. Auf diese Weise verloren wir unser Sefer und alle Ritualgegenstände, die wir immer bei uns hatten.

 

Nun sollte man annehmen, es wäre Schluss mit dem Beten. Nein! Wie durch ein Wunder konnte Josef Strauß ein kleines Taschenbuch retten, und abends und morgens versuchten wir so gut wie möglich unseren religiösen Pflichten nachzukommen.

 

Später mussten wir nach Kiel-Hassel, wo sich ein Arbeits-Erziehungslager befand. Hier war es unmöglich, Betstunden abzuhalten, denn wir waren in einer Baracke, wo vielleicht 60 Menschen Platz hatten, zu etwa 200 Mann untergebracht. Obwohl die anderen keine Juden waren, versuchte man selbst hier zu beten. ..."