Die dunklen Seiten des "großen Deutschen" Martin Luther - Nachbesinnung auf den Reformationstag
Von F. W. Siebert
Liebe FreundInnen und Verwandte,
die Nachbesinnung auf den Reformationstag stellt gewissermaßen auch eine Vorbesinnung hinsichtlich des Gedenkens an die Reichspogromnacht vom November 1938 dar. Aufgewachsen in einem evangelischen Elternhaus und früh mit Martin Luther als einem "Helden des Glaubens" in Berührung gekommen, ist es mir ein nicht zu verdrängendes Bedürfnis, mich über die Schattenseiten des "großen Deutschen" zu äußern. Für wen ist es nicht schmerzlich, wenn Vorbilder seiner Kindheit und Jugend plötzlich auch - das geschah bei mir erst als ich schon um die 40 war - eine grässliche Fratze zeigen?
Darüber wollte ich mich mal äußern, aber nicht nur im stillen Kämmerlein, sondern zumindest Euch als Adressaten in mein nachdenkendes Entsetzen einbeziehen. Vielleicht habt Ihr ja mal ein paar Minuten Zeit für die Schattenseiten des Herrn Dr. Luther:
Während der frühe Luther sich noch Hoffnungen machte, die Juden zum Christentum bekehren zu können und sie als Blutsverwandte,Vettern und Brüder des Herrn ansieht, verlässt er später gänzlich diese Linie, da alle Bekehrungsversuche vergeblich waren. Er sieht in ihnen dann exemplarisch und in extremer Form, neben Papisten und Schwärmern, die gefährlichsten Gegner seiner Lehre von der Rechtfertigung des Sünders im Glauben an die Gnade Gottes.
Von da an verfolgt er sie mit seinen Hetztiraden, wo immer er dazu Gelegenheit hat. Wen wundert es da, wenn 400 Jahre später einer der Haupteinpeitscher der verbrecherischen Naziideologie, Julius Streicher, Herausgeber des national-sozialistischen Hetzblattes "Der Stürmer" sich in seiner Verteidigungsrede vor dem internationalen Militärtribunal in Nürnberg auf Martin Luther beruft und folgendes ausführt:
"Dr. Martin Luther säße heute sicher an meiner Stelle auf der Anklagebank, wenn dieses Buch (Luthers Schrift "Von den Juden und ihren Lügen", 1543) von der Anklagevertretung in Betracht gezogen werden würde".
Dazu schreibt K. Deppermann in seiner Abhandlung über "Judenhaß und Judenfreundschaft im frühen Protestantismus" (ihr verdanke ich sämtliche im Folgenden aufgeführten Zitate):
"Streichers Berufung auf Martin Luther war keineswegs absurd; denn das Bild vom jüdischen Charakter, das der Reformator in seinen Spätschriften entworfen hatte, stimmte überein mit dem, was 'Der Stürmer' zwanzig Jahre lang unentwegt vom Judentum behauptet hatte, nämlich, dass es unheilvoll korrupt sei."
Aber das war ja nur ein Vorwurf, den Luther in seinen Spätschriften gegenüber den Juden erhoben hatte. Er machte den Obrigkeiten in der o.g. Schrift sieben Vorschläge, wie sie mit den Juden umgehen sollten. Diese "decken sich weitgehend mit den Anweisungen zur Reichskristallnacht, die Josef Goebbels im November 1938 ausgab." (Deppermann ebd. S.124 ):
Originalton Luther:
- Erstlich, das man jre Synagoga oder Schule mit feur anstecke und, was nicht verbrennen will, mit erden überheufe und beschütte, das kein Mensch ein stein oder schlacke davon sehe ewiglich. Und solches sol man thun, unserem Herrn und der Christenheit zu ehren damit Gott sehe, das wir Christen seien.
- Zum anderen, das man auch jre Heuser des gleichen zerbreche und zerstöre, Denn sie treiben eben dasselbige drinnen, das sie in jren Schulen treiben. Dafur mag man sie etwa unter ein Dach oder Stall thun, wie die Zigeuner, auff das sie wissen, sie seien nicht Herren in unserem Lande...
- Zum dritten, das man jnen nehme all jre Betbüchlein und Thalmudisten, darin solche Abgötterey, lügen, fluch und lesterung geleret wird.
- Zum vierten, das man jren Rabinen bey leib und leben verbiete, hinfurt zu leren ...
- Zum fünften, das man den Jüden das Geleid und Straße gantz und gar auffhebe ...
- Zum sechsten, das man jnen den Wuucher verbiete und neme jnen alle barschafft und kleinot an Silber und Gold, und lege es beiseit zu verwaren...
- Zum siebenden, das man den jungen, starcken Jüden und Jüdin in die Hand gebe flegel, axt, karst, spaten, rocken, spindel und lasse sie jr brot verdienen im schweis der nasen.
"Sollten die Juden mit diesem Helotendasein nicht zufrieden sein, wie zu erwarten ist, so muß man sie nach dem Beispiel Spaniens und Frankreichs aus dem Lande jagen." (Deppermann ebd.)
Erst ziemlich spät habe ich diese ungeheuerlichen dunklen Seiten des Reformators kennengelernt. Umso mehr haben sie mich erschüttert. Wurde mir doch in meiner Kindheit und Jugend dieser Mann als die große Leuchtgestalt des Protestantismus vermittelt. Als Gründer meiner evangelischen Kirche schien er mir nur wenig bedeutsamer als Jesus selbst zu sein.
Diese Verehrung schlug sich ja auch schon in meiner Familiengeschichte nieder. Vater und zweitältester Bruder -wen wunderts- erblickten wie der "große Deutsche" am 10. November das Licht der Welt. Mein Vater hieß Heinrich-Martin, der Bruder bekam den Vornamen Martin...
Das Reformationsfest 2008 liegt schon wieder hinter uns. In unzähligen Predigten weltweit wurden wieder einmal die Verdienste des Glaubenshelden gepriesen und das "protestantische Prinzip" geschärft. Ist es da nicht ein Gebot der historischen und moralischen Redlichkeit, auch die dunklen Seiten des Reformators zu beleuchten? Weh dem Volk, das Helden nötig hat. Den Spruch hab ich mal irgendwo aufgelesen. Er gilt m. E. auch für die evangelische Kirche. Wir brauchen keine "Säulenheiligen".
Die Schriften des älteren Luther haben eine barbarische Wirkungsgeschichte mitverursacht. Dem müssen sich, besonders auch die Bewunderer des "großen Deutschen" stellen. Es genügt nicht, vor den "Rattenfängern" in unseren Zeiten zu warnen und über ihre Gefährlichkeit aufzuklären. Auch das Rattenfängerische von ansonsten positiven historischen Persönlichkeiten muss deutlich gemacht werden, um einer Wiederholungsgefahr vorzubeugen. Hatte Luther sich in seinen früheren Schriften gegen den christlichen Wucher in Gestalt der Fugger und Welser gewandt, so greift er ab 1543 dies populäre Motiv des Judenhasses auf. Hier noch einige Zitate aus den Spätschriften des M. L., die diesem Zwecke dienlich sein können.
Der Odem stinckt inen nach der Heiden Gold und Silber, denn kein Volk unter der Sonnen geitziger, denn sie ( die Juden ) sind, gewest ist, noch sind und immer fort bleiben, wie man sihet an irem verfluchten Wucher ... Ja wol, sie halten uns Christen in unsern eignen Land gefangen, sie lassen uns erbeiten im nasen schweis, gelt und gut gewinnen, sitzen sie die weil hinter dem Ofen, faulentzen, pompen und braten birn, fressen, sauffen, leben sanft und wol von unserem ererbeitem gut, haben uns und unser güter gefangen durch iren verfluchten Wucher ... Sind also unsere Herren, wir ihre Knechte ...
Drumb, wo du einen rechten Jüden sihest, magstu mit gutem gewissen ein Creutz fur dich schlahen, und frey sicher sprechen: Da geht ein leibhaftiger Teufel.
Schon in einem Tischgespräch im Jahre 1532 blitzt ein quasi mörderischer Judenhass in Luthers Gedankenwelt auf:
Wan ich einen fromen Juden mehr überkomme tzu tauffen, so wil ich ihn also balt nach der tauffe auff die Elbbruk furen und eynen stein am hals hencken und ins wasser sturtzen. (ebd.)
So, mir reichts, mir wird übel angesichts dieser Verirrungen des Reformators. Der Held meiner Kindheit ist vom Sockel gestürzt. Mag er einen gnädigen Richter finden, meine Bewunderung hat er verloren.
Wenn Ihr bis hierhin beim Lesen gekommen seid, wünsche ich Euch noch einen schönen nachreformatorischen Sonntag.
Heftrich d. 01. 11. 08
Euer F. W. Siebert
Quellen:
Die Juden als Minderheit in der Geschichte, dtv 1981
K. Deppermann: "Judenhaß und Judenfreundschaft im frühen Protestantismus"