Der jüdische Sammelfriedhof in Burghaun
Der große jüdische Friedhof in Burghaun, am Ortsausgang Richtung Rudolphshan über dem Dimbach gelegen, war Sammelfriedhof für alle Judengemeinden des Hünfelder Landes, mit Ausnahme von Mansbach. Erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts war es den Gemeinden erlaubt ihre eigenen Begräbnisstätten anzulegen. So entstanden solche in Erdmannrode, Langenschwarz (1832), Rhina (1837) und Wehrda (1835). Alle übrigen Judengemeinden begruben ihre Toten bis zuletzt in Burghaun. Durch einen schmalen Hohlweg, die "Judenhohle", trugen die Männer die Dahingeschiedenen aus dem Dorf selbst zum ”guten Ort” hinauf. Die Verstorbenen aus dem Kreis wurden mit einem Leichenwagen über die Fahrstraße zum Friedhof gebracht. Der Friedhof gliedert sich in drei Teile:
- Ältester Teil mit Grabsteinen von 1690 bis 1833
- Mittlerer Teil mit Grabsteinen von 1834 bis 1872
- Jüngster Teil mit Grabsteinen von 1873 bis 1942
Der letzte Jude, der einen Grabstein bekam (es heißt, dass diesen die Gemeinde Burghaun nach dem zweiten Weltkrieg gesetzt habe), ist Anschel Braunschweiger. Er soll immer gesagt haben: „Ich geh mal die Hohl nuff!“ Und tatsächlich erlitt Anschel Braunschweiger im Oktober 1941 bei der Feldarbeit mit seinem Nachbarn Becker einen tödlichen Herzinfarkt. Auf diese Weise war es ihm vergönnt, noch eines natürlichen Todes zu sterben, während viele seiner Glaubensgenossen kurze Zeit später in ein KZ deportiert und ermordet wurden. - Dafür, dass dieses Grabmal nicht mehr von den Juden gesetzt wurde, sprechen folgende Fakten:
1. Zur "Jahrzeit" (üblicherweise wurde der Grabstein ein Jahr nach dem Begräbnis errichtet) im Oktober 1942 waren Anschels Frau Fanny sowie die anderen noch in Burghaun ansässig gewesenen Juden deportiert und die jüdische Gemeinde ausgelöscht. Außerdem herrschte Krieg. Wer hätte also einen Grabstein aufstellen sollen?
2. Die Inschrift unterscheidet sich deutlich von allen anderen Inschriften auf dem Friedhof, es gibt keinen hebräischen Text, der das Leben des Verstorbenen in den Blick nimmt, stattdessen sind Geburts- und Sterbedaten eingraviert.
Anschel Braunschweiger ist nicht der zuletzt auf diesem Friedhof begrabene Jude, wie es oft gesagt und geschrieben wird, sondern der letzte Verstorbene, der einen Gedenkstein bekam!
Nachweislich zuletzt dort begraben wurde im März 1942 Nathan Strauß aus Burghaun, der im Konzentrationslager Dachau gestorben war oder vielmehr "gestorben wurde". Seine Frau Adelheid bekam damals die Urne mit der Asche ihres Mannes per Post zugeschickt. Einen Grabstein hat Natahn Strauß nicht mehr bekommen, seine Ruhestätte ist nicht bekannt.
Außer Nathan Strauß wurden auf dem "guten Ort" von Burghaun in den letzten Jahren der jüdischen Gemeinden noch drei weitere Menschen begraben, die keinen Grabstein mehr bekamen:
- Sophie Braunschweiger / geb. 21. Februar 1873 in Niederaula,
gest. 22. September 1938 in Burghaun - Fanny Stuckhardt (Kaffeefanny) / geb. 13. Juni 1863 in Steinbach,
gest. im Mai 1939 in Burghaun - Bertha Rosenstock / geb. 17. Januar 1879 in Buchenau,
gest. 2. Februar 1942 in Buchenau
1986 führten Mitarbeiter der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen am Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden eine Vermessung und Aufnahme des Sammelfriedhofes in Burghaun durch, die in den Folgejahren durch mehrere zusätzlich aufgefundene Grabsteine ergänzt wurde. Insgesamt sind noch 707 erhaltene Grabmäler registriert und dokumentiert worden.
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Den Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof am Haupteingang haben Ende der sechziger Jahre überlebende Juden des Kreises Hünfeld setzen lassen. Sie hatten sich unter Federführung des Hünfelders Joseph Strauss in New York zum "Komitee zur Wiederherstellung des israelitischen Friedhofs in Burghaun" zusammengetan und Geld aufgebracht - zunächst für die Instandsetzung und Aufrichtung von Grabsteinen, später auch zur Finanzierung des Mahnmals. Aufgrund der Schwierigkeiten, über den Ozean hinweg alle Planungen und Verhandlungen zwischen den zuständigen Stellen zu koordinieren, zog sich die Realisierung des Denkmals jahrelang hin. Als man schließlich alle Hürden genommen und auch das hessische Innenministerium einen Zuschuss gewährt hatte, konnte gegen Ende 1968 der abgewandelte Entwurf des Steinmetzmeisters Faust in Burghaun zur Ausführung kommen.
Die Übersetzung der hebräischen Inschrift auf dem Stein lautet:
Rachel weint um ihre Kinder, weigert sich, getröstet zu werden, denn ihre Kinder sind nicht da. So spricht der Herr: Wehre deiner Stimme das Weinen und dem Auge die Träne, denn dein Werk wird belohnt. Und sie werden heimkehren aus Feindesland. (Jeremia 31, 14 u. 15)
In der deutschen Inschrift heißt es:
In den Jahren der Gewaltherrschaft von 1933-1945 verloren durch die Verfolgung 154 jüdische Menschen aus dem Kreise Hünfeld ihr Leben. Zur Erinnerung und Mahnung wurde dieser Gedenkstein errichtet.
Eigentümer des Begräbnisplatzes ist der "Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Hessen" mit Sitz in Frankfurt a.M. als Rechtsnachfolger der ehemaligen jüdischen Gemeinden. Da die jüdischen Friedhöfe Kulturdenkmäler im Sinne des hessischen Denkmalschutzgesetzes sind, unterliegen sie genauen, mit dem Landesverband abgestimmten Richtlinien für ihre Sicherung, Pflege und Aufsicht. Seit 1951 haben die politischen Gemeinden die Aufgabe der ständigen Instandhaltung übernommen.
Zur Abgeltung des Pflegeaufwandes erhalten sie vom Land Hessen einen nach der Quadratmeterzahl des Geländes berechneten, nicht unerheblichen Geldbetrag, um ihren Verpflichtungen nachkommen zu können. Zusätzlich stellt der hessische Staat außerplanmäßige Mittel bereit für grundlegende Restaurierungsarbeiten, damit dieser geschichtsträchtige Ort sorgfältig gepflegt und erhalten werden kann.
Mehr zum jüdischen Leben in der Region erfährt man in dem Buch von Elisabeth Sternberg-Siebert: Jüdisches Leben im Hünfelder Land - Juden in Burghaun, Verlag Michael Imhof, 2. Aufl. 2008, ISBN 978-3-932526-14-5. Das Buch ist für 22 Euro bei der Marktgemeinde Burghaun sowie im Buchhandel erhältlich.