Aus der Schulchronik der israelitischen Schule von Eiterfeld 1880 – 1933

Teil II bis 1933

  • Lehrer Schuster 1.3.1905 – 30.6.1924

Am 1. Oktober 1904 trat Herr Fauerbach in den Ruhestand, nachdem er 43 Jahre das Amt eines Lehrers, Kantors und Schächters zur steten Zufriedenheit der ganzen Gemeinde und mit aller Kraft seines tätigen Geistes versehen hat. Möge ihm noch recht lange Ruhe und Erholung vergönnt sein. Sein Andenken lebt fort. Am 1. März 1905 übernahm Herr Lehrer Schuster die hiesige Stelle. Die Schülerzahl beträgt 17.

Das frühere Frauenbad (Quellenbad) wurde durch Jauche verunreinigt und dadurch untauglich. Alle Reparaturen waren nutzlos. Über 5 Jahre war die Gemeinde ohne diese religiöse Einrichtung. Gegen ein jährliches Entgeld von 40 Mark stand uns Mitbenutzung in Hünfeld zu. Diesem leidlichen Zustand wurde durch einen Neubau abgeholfen, der am 1. Dezember 1913 beendet und unter einem Kostenaufwand von 2500 Mark ausgeführt wurde.

Am 1. August 1914 ... (unleserlich) um 6 h nachm. ist Mobilmachung.  Am 9. Nvbr. 1918 ist Schluss des leidvollen Krieges, der nicht die guten, sondern die schlechten, ja schlechtesten Eigenschaften der Menschen wachgerufen hat. Der Mensch zeigt sich in seiner ganzen Niedrigkeit und Gemeinheit. Verrohung und  Verwilderung der Sitten greift Platz. Alles und alle drehen sich im rasenden Tanz um das goldene Kalb. Zügellosigkeit und Unreligiosität sind die G’tter des Tages. G. s. D. (Gott sei Dank)  lebt in unserer Gemeinde noch ein religiöses Bewusstsein und der Gedanke an den Schicksal lenkenden G’tt. –

Von der jüdischen Gemeinde waren im Laufe des Krieges bei einer Seelenzahl von 80 im Heer eingestellt:

(Siehe die Seite Soldaten im Ersten Weltkrieg!)

 

Gott sei Dank für seinen Schutz!

Während der Kriegszeit besuchen die jüdischen Kinder die katholische Ortsschule, 2 Jahre blieben sie ohne Religions­unterricht. Lehrer Strauß, Burghaun, übernimmt wöchentlich 2 Stunden; später tritt Lehrer Braunschweiger an sei­ne Stelle. Am 15. Okt. 1918 kehrt Lehrer Schuster aus dem Kriege zurück. Nach einer vierteljährl. Krankheit nimmt er den Unterricht wieder auf. –

 

Lebensmittel- und Warenpreise steigen nach dem Kriege um das 20 – 30 fache

1 Ei = 1,60 M – 1,80 M

1 Pfund Weizenmehl 4 – 5 M

1 Pfund Fleisch 8 – 10 M

1 Zentner Kartoffel 25 – 30 M

1 m Anzugstoff 200 – 400 M

1 Filzhut 100 – 150 M

1 Paar Schuhe 300 – 400 M

1 Tallis 400 – 600 M


Nach antisemitischen Exzessen, 14. März 1920, woran sich die ganze Umgegend beteiligt, verlassen drei jüdische Fa­milien Eiterfeld:  Abraham Katz, Feist Rapp, Selig Wiesenfelder.

Die Gemeinde zählt noch 12 Familien (inkl. 2 Familien in Buchenau) – 68 Köpfe.

Eiterfeld erhält elektrische Beleuchtung. Am 14. Juli 1922 brennt es zum ersten Mal.

Die Steigerung aller Lebensmittel- und Warenpreise geht ins Unermessliche.

1. Febr. 1923

Für 1 Dollar werden 50.000 Mark bezahlt. 1 Zentner Weizen kostet 67.000 M. Fleisch wird mit 3600 – 400 M bezahlt. 1 m Anzugstoff 75 – 100.000 ...

15.11.23

Die Preise haben sich bei Weitem überholt. Ein Dollar = 4.200.000.000.000 M, 4 Billionen, 200 Milliarden.

 

  • Lehrer Kalmann Oppenheimer 1.12.1924 – 30.4.1933

Am 30. Juni 1924 verlässt Lehrer Schuster die israel. Lehrerstelle und wird nach Großkrotzenberg b. Hanau versetzt. Die hiesige Lehrerstelle wurde Lehrer Oppenheimer aus Lichenroth Kreis Gelnhausen vom 1. Dezember 1924 ab übertragen. Während der Vakanz besuchten die jüdischen Schulkinder die hiesige katholische Volksschule. Bei Übernahme der hiesigen Lehrerstelle betrug die Schülerzahl 8.

Am 28. Februar 1925 starb der Reichspräsident Friedrich Ebert. Am 14. März wurden in den Schulen Preußens Gedenkfeiern für Ebert gehalten. Der Unterricht fiel an diesem Tage aus.

Am 20. April wurde Generalfeldmarschall v. Hindenburg vom deutschen Volke zum Reichspräsidenten gewählt. Die Amtseinführung fand am 12. Mai statt. Der Unterricht fiel an diesem Tage aus, nachdem in einer Schulfeier auf die Bedeutung dieses Tages hingewiesen worden war.

Am 1. Juli 1925 unternahm die hiesige jüdische Schule gemeinschaftlich mit der Rhinaer Schule einen Ausflug nach Kassel-Wilhelmshöhe. Am 2. Ju-li besuchte unsere Schule das Sportfest in Hünfeld.

Das Kehren des Schulzimmers, das herkömmlich von den Schulkindern ausgeführt wurde, ist auf meine Veranlassung einer Frau übertragen worden.

 

Wie die hiesige Wasserleitung eingeweiht wurde

Am 14. Mai 1927 wurde die hiesige Wasserleitung eingeweiht.  Nun endlich war die Zeit gekommen, dass die mühselige Arbeit des Wasserholens ein Ende hatte. Der Bau der Wasserleitung, der etwa ein halbes Jahr gedauert hatte, war nun beendigt. Dieser Tag, an dem die Wasserleitung zum ersten Male in Betrieb gesetzt wurde, wurde als Freudentag gefeiert. Gegen Nachmittag wurde eine Versammlung auf dem Marktplatze abgehalten. Der Herr Landrat und der Herr Bürgermeister Göbel hielten eine Rede. In ihren Reden sprachen sie den Bauleitern und den Bauunternehmern den Dank aus. Hiernach folgte eine Feuer­wehrübung unter Leitung des Oberbrandmeisters. Dieses war gleichzeitig eine Probe für das Funktionie­ren der Hydranten. Nach dieser Feuerwehrübung verlieh der Oberbrandmeister einigen Leuten, welche vierzig Jahre bei der Feuerwehr waren, ein Ehrenzeichen. Am Abend wurden einige Fässer Freibier in den einzelnen Wirtschaften verteilt. 

Meta Müller

 

Am 2. Oktober 1927 fand eine Schulfeier anlässlich des 80. Geburtstages Hindenburgs statt. Der Unterricht fiel an diesem Tage aus.

Im August 1928 wurde die hiesige Bevölkerung durch ein scheußliches Verbrechen in furchtbare Aufregung versetzt. Das vierjährige Mädchen des Maurers Rudolf Glotzbach, das seit Samstagnachmittag vermisst und trotz aller Nachforschungen der ganzen Gemeinde nicht gefunden wurde, fand man Montag, 27.8.28 ermordet in der Scheune des Gastwirtes Hodes. Nach dem ärztlichen Befund lag ein Sittlichkeitsverbrechen vor. Trotz aller Bemühungen der Staatsanwaltschaft war der Täter nicht zu ermitteln.

Wiederholt brachen hier Brände aus, deren Entstehungsursache unbekannt blieb. Man vermutete Brandstiftung.

 

Am 3. August 1930 war hier ein Sängerfest. Da an diesem Tage für uns Trauer wegen Zerstörung des Tempels war, konnten wir uns an dem Feste nicht beteiligen. Der Sängerwettstreit wurde im Giebel’schen Saale ausgetragen. Ein großer Festzug bewegte sich durch das Dorf, das zu Ehren der Sänger Festschmuck angelegt hatte.

Im Mai 1930 trat Herr Rapp von seinem Amte als Synagogenältester zurück. Er war ein Freund unserer Schule. Durch Beschaffung von Lehrmittlen hat er sie zu fördern gesucht. Der Nachfolger des Herrn Rapp wurde Herr Max Lomnitz.

Im Sommer 1930 wurden die Wände und die Decke des Schulzimmers neu gestrichen. Da der alte Schulschrank für die Aufbewahrung der Lehrmittel nicht ausreichte, wurde ein neuer Schulschrank angeschafft.

 

Schuljahr 1931/32:  Die Wirtschaftskrise, die durch die zeitweise Schließung sämtlicher Banken und Sparkassen im Juli 1931 ihren Höhepunkt erreichte, hat auch die Steuerkraft der hiesigen jüdischen Gemeinde geschwächt. Da die hiesige Gemeinde aus nur 12 Familien besteht, - einige von diesen zahlen wenige oder keine Steuern – ist es der Gemeinde schwer gefallen, die Schulverbandsbeiträge aufzubringen. Es besteht jedoch der unbeugsame Wille bei den hieigen Gemeindemitgliedern, die Lehrerstelle zu erhalten, und wenn die größten Opfer gebracht werden müssen.

Die Anzahl der vorschulpflichtigen Kinder beträgt z.Zt. 11, die Schülerzahl wird daher in einigen Jahren 14 betragen.

Durch die Geldknappheit war es nur möglich, einen größeren Ausflug auszuführen. Am 19. Mai 1931 fand eine Ganztagswanderung nach Mansbach zur Besichtigung eines Films statt. Am 27. Januar 1932 prüfte Herr Rabbiner Dr. Cahn die hiesige Schule in Religion. Im Winter 1931/32 wurde die hiesige Bevölkerung durch mehrere Brände sehr beunruhigt. In 14 Tagen erscholl dreimal Feueralarm. Leider gelang es in keinem Fall, die Brandursache aufzuklären. Kriminalbeamte waren eine ganze Woche hier tätig, ohne einen Brandstifter ausfindig zu machen.

Am 1. April trat eine Änderung in der Schulaufsicht des Kreises Hünfeld ein. Herr Schulrat Wendling in Hersfeld übernahm außer dem Kreise Hersfeld noch den Kreis Rotenburg und schied aus dem Kreise Hünfeld aus. Letzterer Kreis wurde Herrn Schulrat Sennner in Fulda zugeteilt.

Im April 1932 wurde der bisherige Reichspräsident von Hindenburg wiedergewählt. Im Juni trat Reichskanzler Brüning zurück; von Papen wurde Reichskanzler.

Am 20. Juli wurde für Preußen ein Reichskommissar ernannt, der die Regierung Braun absetzte. Die Reichstagswahlen am 31. Juli und 6. November zeigten eine gewaltige Zunahme der nationalsozialistischen Wähler. Das Kabinett Schleicher, das nach den Novemberwahlen gebildet wurde, war von kurzer Dauer.

Am 30. Januar 1933 wurde Hitler, der Führer der Nationalsozialisten, zum Reichskanzler ernannt. Die Wahlen am 5. März brachten eine große Mehrheit der nationalen Parteien.

Am 8. März war anlässlich des Sieges der nationalen Revolution schulfrei. Vom 13. bis 16. März wehten auf allen öffentlichen Gebäuden die Hakenkreuzfahne und die schwarzweißrote Fahne. Auch unsere Schule hat diese Fahne gehisst.

Am 21. März wurden in ganz Deutschland anlässlich der Reichstagseröffnung Feiern veranstaltet. Der Unterricht fiel an diesem Tage aus.

Ab 1. Mai 1933 wurde Lehrer Oppenheimer vom Schuldienst beurlaubt, die 8 jüdischen Kinder wurden in die hiesige katholische Schule überwiesen. 1)

 

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Anmerkungen:

1) Die Jüdische Schulchronik von Eiterfeld wird in der Jüdischen Gemeinde Fulda aufbewahrt. Sie ist hier verkürzt zitiert und wurde durch Überschriften sowie 2 in Klammern ( ) gesetzte und grau gehaltene Verbindungssätze  zur besseren Lesbarkeit strukturiert.