Familien David Simon und David Stern
Familie David Simon
"Zwei Häuser weiter war das Haus Nr. 56, Eigentümer David Simon und seine Frau Froni. Mit Dorfnamen wurden sie Froms genannt.
Sie führten ein Manufakturwarengeschäft, er fuhr mit einem kleinen Pferdegespann in die umliegenden Dörfer und verkaufte seine Ware. David und Froni hatten drei Kinder: Max, Adolf und Hanna. Die beiden Söhne waren im ersten Weltkrieg Soldaten. Max zog nach Mailand in Italien, Adolf lebte zuletzt in Fulda und bereiste von dort die Dörfer. Was weiter mit ihm geschehen ist, weiß ich nicht.
Die Schwester Hanna versorgte bis zuletzt ihre Eltern, welche auch schon alt waren. Sie war an einer Hasenscharte operiert worden als Kind und hat undeutlich gesprochen. War sie im Dorf unterwegs, hatte sie immer ihren mittelgroßen schwarzen Hund namens Max dabei. Wilhelm Billing erzählte mir einmal: 'Die Hanna war mit ihrem Hund zu uns gekommen und hat sich mit meiner Mutter unterhalten. Das Mittagessen stand schon am Tisch bereit und Max hatte das Schweinefleisch zum Sauerkraut im Blick. Doch wir haben es noch rechtzeitig bemerkt, bevor er Anlauf nehmen wollte.' Der hätte nicht gefragt, ob das Schweinefleisch für die Juden koscher war, sondern 'treife'. Der Sohn Max war nach dem Krieg noch einmal in Wehrda.
Im Jahr 1937 haben mein Schwager Wilhelm Opfer und meine Schwester Elise das Haus von Simons gekauft. Simons wanderten nach Amerika aus, obwohl der Vater David schon sehr krank war. Sie sind auch noch dort angekommen. Das Geld für das Haus wurde auf ein Sperrkonto einbezahlt. Vorher kam die Hanna eines Abends noch in mein Elternhaus. Sie guckte nur zur Küchentür rein und sagte: 'Ich habe euch einen Sack mit alten Kleidern und Lumpenabfällen in die Scheune gestellt, daraus könnt ihr Ferwes nähen.' Sie verschwand gleich wieder. Es war nämlich für Juden verboten die Christenhäuser zu betreten. Ich habe im Krieg viele Kinderkleidchen davon genäht. Im Dezember 1938 heiratete meine Schwester und sie zogen in das Haus ein. In den Judenhäusern roch es immer noch lange nach Koks. Sie mussten sich immer für Schabbes vorkochen, weil sie am Sabbat nichts kochen durften. Dafür war die Grude da, ein viereckiges Gemäuer. Über dem glühenden Koks war ein Eisenrost, auf den die Kochtöpfe mit dem Essen gestellt und warm gehalten wurden.
Die alte Frau Froni haben wir immer die 'Bibäckern' genannt. Wenn meine Mutter alle drei Wochen zehn Laibe Brot im gemeindlichen Backhaus im Holzofen buk, fragte sie öfter, ob sie ein Schabbesbrot, 'Berches' genannt, mitbacken könnte. Manchmal hatte sie auch ein viereckiges Eisenförmchen. Darin buk sie Schalet. Das waren rohe geriebene Kartoffeln mit Öl, vermischt mit Gewürzen und Lauch. Meine Schwester und mein Schwager mussten nach dem Krieg für das gekaufte Haus noch einmal 5.000 Reichsmark nachbezahlen. Es hatte sich bei den Juden ein Verein, "Irso", gebildet und kassierte das Geld ein. Die Häuser waren unter dem Wert verkauft worden. Wilhelm und Lieschen hatten aber nicht so viel Geld da. Die Frau Baronin von Campenhausen hat es ihnen damals geborgt. Sie konnten es zurückzahlen, wie es ihnen möglich war. Wilhelm hatte sich eine Wagnerwerkstatt eingerichtet und konnte auch für die Baronin arbeiten. Das Haus ist heute an einen anderen Besitzer übergegangen."
Familie David Stern
"Ein Haus weiter in der Eck wohnte die Familie David Stern. Er war Viehhändler, die Ehefrau habe ich nicht mehr gekannt, sie war schon verstorben. Der Sohn hieß Leo, seine Frau Lea war von Rhina. 6)
David Stern und Sohn Moritz waren Soldaten im ersten Weltkrieg. Moritz war von Wehrda weggezogen, er ertrank bei einem Badeunfall.
Eines Tages kamen SS Männer in das Dorf. Der Leo hatte sich bei Lotze im Gasthaus bis auf den obersten Kehlboden geflüchtet, wurde aber von jemandem verraten. Sie holten ihn runter und haben ihn auf der Straße so hart geschlagen, dass er blutete. Seine hochschwangere Frau Lea musste es mit ansehen.
Da empörte sich die alte Frau Anna Möller - sie stammte aus Langenschwarz und war eine Schwester des Bauunternehmers Magnus Müller. Sie sagte, sie sollten sich schämen so etwas zu tun, und die Frau müsse in ihrem Zustand auch noch zusehen. Der alten Frau haben die SS Männer nichts getan. Einen jüngeren Menschen hätten sie mitgenommen und eingesperrt. Man durfte doch nichts dazu sagen.
Im Jahre 1938 hat Georg Pfannmüller das Haus von David Stern gekauft. Die Familie ist dann ausgewandert. Sie wurden mit Dorfnamen "Sämels" genannt. Wahrscheinlich hieß ein Vorfahre Samuel. Meistens wurde der Dorfname von einem Vornamen abgeleitet. Die Schabbesmagd war Frau Margarete Berg aus dem alten Turm. Sie war auch Kriegswitwe des ersten Weltkriegs und verdiente sich noch etwas dazu. Die Familie Pfannmüller zog im Oktober 1939 in das Haus von Sterns in der Eck Nr. 1 ein. Der heutige Besitzer ist Heinz Lenk mit seiner Ehefrau Elfriede geborene Pfannmüller."