Synagoge und jüdisches Gemeindehaus

"Die Synagoge war gegenüber der Straßenseite von Plauts. Im Dorf sagte man die Judenschule dazu. Sie wurde im Jahre 1804 erbaut und eingeweiht. Das Bauholz war von den Herren von Trümbach gespendet worden.

Aus Dankbarkeit wurde über den heiligen Schrein (Schrein mit den Thorarollen) das Trümbacher Wappen angebracht: das Wappenschild mit drei Rosen, von zwei Löwen gehalten. - Zwischen der Synagoge und dem einstöckigen Gemeindehaus lag ein kleiner Hof der Gemeinde. 

Die Synagoge in Wehrda
Die Synagoge in Wehrda
Ein Steinhaufen - Reste der Synagoge
Ein Steinhaufen - Reste der Synagoge

Das Gemeindehaus wurde nach dem Krieg abgerissen und das Grundstück später von Claus Billing wieder bebaut. Auf dem kleinen Hof haben wir Kinder immer gespielt. Der Ball wurde an die Ostgiebelwand der Synagoge geworfen, da waren nämlich keine Fenster und es konnten keine Scheiben kaputt gehen. An der Straße befand sich die Vorderseite mit zwei Eingangstüren. Vor dem unteren Eingang waren drei Steinstufen, beim oberen Eingang waren nur zwei Stufen. Diese Türe wurde auch nicht immer benutzt.

Am Freitag konnten wir so lange dort spielen, bis vor Sonnenuntergang der Sabbat anfing. Wir saßen zunächst noch auf der Treppe und hatten unsere Freude daran, wenn Sally Plaut von der Haustüre ausschaute, ob der Rabbiner Lehrer Siegfried Oppenheim von Rhina ankam. Er war der Vorbeter, und wir sagten "Räwe" zu ihm - Sally war noch am Rasieren. Die Juden durften kein Messer zum Rasieren nehmen, sondern trugen eine weiße Ätzpaste auf den Backenbart auf. Diese Paste musste erst einwirken und wurde dann mit einem Holzspan abgeschabt.

Wenn alle Juden in der Synagoge waren, gingen wir zu der oberen Eingangstüre. Weil die obere Stufe schon ziemlich ausgetreten war, konnten wir unter der Tür durchschauen und sehen, wie sich die Juden die Gebetsriemen anlegten, dann ging es los. Wir verstanden aber meistens nichts, alles war auf Hebräisch. Der Rabbiner betete vor und die anderen kamen danach dran. Es mussten immer zehn Männer sein. Wir haben aber nie den Gottesdienst gestört und gingen nach Hause. Die Frauen kamen nur an dem "Langen Bettag" in die Synagoge. Sie mussten oben auf der Empore sitzen. An dem Tag trugen sie lange weiße Kleider und auf dem Kopf hatten sie ein Spitzentuch. 11)

Als Kinder verzogen wir uns dann, um nicht zu stören.

An der Synagoge war noch ein kleiner Anbau mit Eingangstür. Wir Kinder sagten die "Badkutt". Es war das Badehaus, das Mikwe genannt wurde. Während der Monatsblutung waren die Frauen sieben Tage unrein und mussten am achten Tag danach in das Reinigungsbad. Wir Kinder wussten damals noch nicht, warum die Frauen dort hingingen. Es waren auch nur noch zwei Frauen im gebärfähigen Alter, die ich kannte. Es waren Frau Klara Plaut und Frau Berta Katzenstein, geborene Stern. Wir sahen nur, wenn das Wasser abfloss über die Straße bis zur gegenüberliegenden gepflasterten "Kannel" (Rinnstein) - Kanalisation gab es noch nicht. Die Juden hatten sich aber von der Kriegswitwe Frau Elise Sauer unterschreiben lassen, dass das Wasser dahin abfließen durfte. Sie war auch Schabbesfrau bei der Nachbarfamilie Wolf Plaut.

Hinter der Synagoge war extra ein kleines Häuschen mit Toilette angebaut. Öfter sah man einen Mann aus dem Gebetsraum kommen, der austreten ging. Anschließend stand noch ein kleines Haus. Darin wohnte eine ältere Frau namens Anna Maria, sie wurde aber kurz Amrich genannt. Sie war die Schabbesmagd, die in der Synagoge das Licht an  und ausschaltete.

Mein Bruder Wilhelm war elf Jahre älter als ich. Er hat mir erzählt, dass sein Cousin Fritz Diehl manchmal den Juden Moritz nachgeahmt hat und viel früher als der rief: "Amrich, mach das Licht aus." Dann kam die alte Frau aus ihrem Haus und war überrascht: "Die Beten doch noch!" Die Jungen aber freuten sich, dass sie die alte Frau veräppeln konnten.

Die Wehrdaer Synagoge wurde in der Reichspogromnacht am 9./10. November 1938 nicht angezündet. Der Ortsgruppenleiter Karl Vock hatte es verhindert, weil auf dem Dach ein Verteilungsständer mit vielen elektrischen Stromleitungen stand, die wahrscheinlich zu mehreren Bränden geführt hätten. Nach dem Krieg wurde das Grundstück von Heinrich Trausch gekauft und die Synagoge wurde abgerissen. Heute gehört dieses Grundstück Claus Billing. Die Nachkommen von Trausch haben es an ihn verkauft."

 

Vom einstigen Gotteshaus der Wehrdaer Juden blieb nur die Grundmauer stehen, die heute, mit einem Jägerzaun bestückt, den Garten des jetzigen Eigentümers einzäunt.

Foto: E. Sternberg-Siebert

Früher gab es in Wehrda eine israelitische Elementarschule. Von 1901 bis zur Auflösung im Jahre 1919 war Siegfried Oppenheim Lehrer. Er wohnte in dem jüdischen Gemeindehaus mit der Nr. 56 in Wehrda. 12) Er unterrichtete im ersten Weltkrieg auch die evangelischen Schüler mit. Die katholischen Schüler gingen natürlich weiter jeden Morgen, ob es stürmte oder schneite, nach Langenschwarz in die Schule. Mein Bruder Wilhelm war elf Jahre älter als ich. Er ging bei dem Lehrer Oppenheim in die Schule. Er war damals etwa sieben oder acht Jahre alt und kam mit zwei Schulkameraden, Karl Stock und Fritz Diehl, oben vom Wald her, an der heutigen Herrmann Lietz Schule vorbei. Die Jungen sahen auf dem Judenfriedhof eine Beerdigung. Da ging es natürlich hin, das war etwas Neues für die drei. Am Schluss warfen die Juden Gras über sich, und der Rabbiner betete vor: "Grüß mir den Vater Abraham", die anderen setzten dann ein "von mir auch, von mir auch." Die Jungen machten das mit und hatten ihre Freude daran. Doch am nächsten Tag bekamen sie in der Schule von Lehrer Oppenheim die Strafe mit einem Rohrstock dafür.

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Synagoge und jüdisches Gemeindehaus
Aufgeschrieben im Jahr 2007 von Katharina Maul, bearbeitet und ergänzt von Elisabeth Sternberg-Siebert
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